KI generierte Grafik die künstliche Intelligenz abbildet in Form von fliegenden Zahlen und Daten im Raum und einem digitalen Gehirn

Der Code der Zukunft?

Ein Interview mit dem Experten Prof. Dr. Patrick Glauner über die Grenzen und Potenziale künstlicher Intelligenz
News | 27.06.2023

Sonja Philipp (Data Center Group): Guten Tag Herr Professor Glauner. Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben, um mit uns über das Thema künstliche Intelligenz (KI) zu sprechen. Zum Einstieg die Frage: Was versteht man unter KI? Was macht sie aus?
Prof. Dr. Patrick Glauner: Die eine Definition für künstliche Intelligenz gibt es leider nicht. So wie Sie 2 Juristen zu einem Thema befragen und 3 verschiedene Antworten erhalten, verhält es sich bei KI-Experten. Für mich bedeutet künstliche Intelligenz, menschliches Entscheidungsverhalten zu automatisieren. Ein Mensch entscheidet ca. 30.000-mal am Tag. Dies will man mit KI automatisieren mit dem Ziel, diese Entscheidungen schneller, günstiger und besser zu treffen.

S. Philipp: In welchen Alltagssituationen begegnen wir künstlicher Intelligenz bereits?
P. Glauner: Omnipräsent ist aktuell ChatGPT, ein Chatbot, der künstliche Intelligenz einsetzt, um mit Nutzern über textbasierte Nachrichten zu kommunizieren. Außerdem nutzen wir regelmäßig Sprach- und Objekterkennung auf unserem Smartphone und auch Spamfilter gehören dazu. Wir haben im Alltag oft hundertfach täglich mit KI zu tun, ohne dass wir es als solche wahrnehmen, da es oft Teil eines größeren Hardware- oder Softwaresystems ist.

S. Philipp: Um das Thema ChatGPT noch einmal aufzugreifen: Sehen Sie diese Entwicklung als Trend oder als Zukunft?
P. Glauner: ChatGPT ist ein hochspannendes Projekt, welches meiner Meinung nach nur ein Teil einer größeren Transformation für die Zukunft ist. Nicht nur um Texte zu schreiben, sondern auch Quellcodes. Hier sorgt der Einsatz von KI für eine riesige Produktivitätssteigerung. Das Modell macht noch seine Fehler, aber im Vergleich von vor 10 Jahren sind wir dort sehr viel weitergekommen. Ich bin gespannt, wo wir in 5 Jahren stehen.

S. Philipp: KI eilt der Ruf voraus, Arbeitsplätze zu vernichten. Müssen wir uns Sorgen machen? Welche Bereiche sogar besonders?
P. Glauner: Ich denke nicht, dass dadurch jeder arbeitslos wird. Durch den vorherrschenden Fachkräftemangel ist das Thema Arbeitslosigkeit unser geringstes Problem. Wir müssen vielmehr automatisieren, um unseren Wohlstand in Deutschland halten zu können. Dort kann KI eine große Chance sein. Das Berufsbild an sich wird sich verändern. Es werden Berufe verschwinden, aber auch neue entstehen. Aber diese Entwicklung ist schon seit dem Beginn der industriellen Revolution ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Fall. Bildung und Weiterbildung ist in diesem Fall essenziell. Ich kann und muss KI nutzen, um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben. KI an sich macht nicht arbeitslos, aber mein Konkurrent, der KI nutzt, macht mich arbeitslos. Wenn dieser durch KI 10- oder 100-mal produktiver ist, dann habe ich ein großes Problem.

S. Philipp: Welche Rolle spielt KI in mittelständischen Unternehmen, vor allem in der Industrie, und welche Potentiale ergeben sich?
P. Glauner: Überall wird entschieden. Es werden Kundenanfragen beantwortet, Angebote geschrieben, Lösungen berechnet oder entworfen. Die Kunden erwarten rund um die Uhr Antworten und Service. Chatbots können hierbei massiv helfen, dass z.B. der Kunde am Samstagmorgen seine Antwort bekommt und nicht bis Montag warten muss. Dinge und Aufgaben können durch KI schneller, günstiger und besser umgesetzt werden.

S. Philipp: Sind diese Tools dem Menschen bereits überlegen?
P. Glauner: Je nach Anwendung können KIs bereits jetzt besser entscheiden als Menschen, gerade im Bereich Qualitätsmanagement, optischer Inspektionen oder der Fähigkeit, Krankheiten schneller zu identifizieren als Ärzte. Dies sind aber alles schmale KIs, die sehr spezialisiert sind und nicht in der Breite wie ein Mensch entscheiden können.

S. Philipp: Sie erwähnten vorhin, dass ChatGPT noch fehleranfällig sei. Welche Gefahren sehen Sie durch KI, gerade in Bezug auf medizinische Diagnosen?
P. Glauner: Dort wo es um Leib und Leben geht, sollten wir die KI nicht abschließend entscheiden lassen. Sie kann eine große Chance bei der Unterstützung von Ärzten, aber nicht die Ultima Ratio sein. Gerade bei ChatGPT sehen wir, wie überzeugend KI auch Unsinn darstellen kann. Doch je mehr diese Tools von Menschen genutzt werden, desto besser werden sie.

 

S. Philipp: Die Entwicklung im Bereich KI ist in den letzten Jahren rapide fortgeschritten. Die EU versucht durch den „AI Act“, KI zu regulieren. Das KI-Gesetz sieht sinnvolle Schutzmaßnahmen für Grundrechte, öffentliche Gesundheit und Sicherheit vor. Damit sollen Verbraucher geschützt und Anreize für die Einführung der Technologie geschaffen werden. Aber es gibt auch Kritik an dem Entwurf: z.B. dass viele Anwendungen als hochrisikobehaftet eingestuft werden und somit deren Entwicklung in Deutschland und der EU blockiert wird. Wie sinnvoll ist diese Regulierung Ihrer Meinung nach?

P. Glauner: Ich habe als Sachverständiger den deutschen Bundestag, das französische Parlament sowie das Parlament von Luxemburg dazu beraten. Die EU-Kommission hat sicher ein nobles Ziel mit dem AI Act, geht aber völlig an der Realität vorbei. Sie behauptet, KI operiere in einem völlig rechtsfreien Raum und müsse deshalb reguliert werden. Das ist nicht der Fall. KI darf jetzt schon nichts Diskriminierendes oder Verbotenes tun. Eine Regulierungslücke könnte identifiziert und geschlossen werden, was die EU-Kommission aber nicht getan hat, sondern pauschal drastische Auflagen vorgeschalgen hat. Dies führt dazu, dass triviale Dinge wie KI in der Bildung im Hochrisiko-Bereich verortet werden. Die Auflagen sind so hoch, dass ein Mittelständler oder Start-Up diese nur durch eine eigene KI-Compliance-Abteilung, in der unklare Anforderungen abzuarbeiten sind, bewältigen könnte. Der AI Act würde Innovationen in Europa massiv behindern und die Wertschöpfung weiter in Richtung USA und China verlagern.

S. Philipp: Das passt zu meiner nächsten Frage: Wie stehen wir im internationalen Vergleich dar durch den EU-weiten AI Act?
P. Glauner:
Der AI Act wird Innovationen verhindern und Wertschöpfung kosten. Den Politikern fehlt häufig das Verständnis von KI. Sie behaupten beispielsweise, KI könne eigenständig diskriminieren oder „verrückt werden“. Das ist aber nicht möglich: Wenn Daten ein Bias1 haben, dann lernt auch die KI diesen Bias. Aber diese Daten kommen ja vom Menschen. Maschinelles Lernen wird oft durch Matrizenmultiplikation realisiert. Diese wird von allein kein Bewusstsein entwickeln, um die Menschheit zu zerstören. So wird es aber leider in der Presse dargestellt.

S. Philipp: Sie haben gesagt, dass KI uns Entscheidungen abnimmt. Denken Sie, dass das in der breiten Masse zum Irrglauben führt, der Mensch habe dann keine Entscheidungsgewalt mehr?
P. Glauner:
Ich sehe KI als Mehrwert für Entscheidungen. Sie kann eine viel größere Stichproben und Datenmengen bedienen und wesentlich einfacher, schneller und günstiger entscheiden.

S. Philipp: Die Data Center Group baut Rechenzentren und realisiert IT-Infrastrukturen. Welchen Einfluss hat die KI in Bezug auf diese?
P. Glauner:
KI kann bei der Planung von Rechenzentren helfen. Sei es bei der Ressourcenschonung, platzsparendem Bauen und Generierung schnellerer Angebote. Die Hardware für Rechenzentren ändert sich ebenfalls. Beispielsweise kommen mehr GPUs2 für KI sowie zukünftig vermehrt Quantencomputing zum Einsatz. (Anm. d. Red.: Das bedeutet größere Leistungsdichten je Rack mit Einfluss auf Klimatisierung und Stromverbrauch.) Verschiedene Dimensionen im Bereich Rechenzentren sind somit von KI betroffen.

S. Philipp: Stichwort Nachhaltigkeit: Die Rechenleistung in Deutschland hat sich innerhalb der letzten 10 Jahre verdoppelt. Prognosen zeigen, dass der Stromverbrauch weiterhin stark ansteigt. Der Einsatz von KI verbraucht sehr viel Rechenkapazitätfür das Trainieren oder Optimieren von neuronalen Netzen. Welches Potential hat KI, um vom Problem zur Lösung zu werden?
P. Glauner:
KI bietet eine große Chance, um Ressourcen besser nutzen zu können, gerade im Bereich der Energiewende. Stichwort Smart Grids sind ein gutes Beispiel. Durch KI entsteht auch neuer zusätzlicher Stromverbrauch. Zum Beispiel gab es in den letzten Jahren Fortschritte durch das sogenannte „Deep Learning“, also tiefe neurale Netze. Da ist auch viel Unsinn entstanden, denn diese werden nicht für alle Probleme benötigt. Dafür reichen häufig auch kleinere Modelle, die weniger Energie brauchen. Immer größere neurale Netze zu bauen, die dann immer mehr Daten und Strom verbrauchen sind nicht die Zukunft. Vielmehr sollte methodisch durchdacht werden, wie wir mit weniger Strom und weniger Daten noch besser lernen können. Da muss die Reise hingehen.

S. Philipp: KI kann ja beispielsweise auch helfen, Code zu verschlanken und auch dort Rechenkapazitäten einzusparen.
P. Glauner:
Ja natürlich. Ein Beispiel von vielen ist ein kürzlich erschienenes Paper von Google Deepmind: Mithilfe neuer von KI entworfenen Algorithmen konnten Werte schneller sortiert werden.3 Wenn eine solche Sortierung billionenfach am Tag stattfindet und eine KI diese Prozesse vereinfacht, hat dies einen erheblichen positiven Beitrag auf den Ressourcenverbrauch.

S. Philipp: Sie sind Professor für Künstliche Intelligenz an der TH Deggendorf. Was beinhaltet dieses Studium? Was muss man lernen, um mit KI umzugehen?
P. Glauner:
Wir haben sowohl Bachelor-, als auch Masterstudiengänge zum Thema KI. Im Bachelor ist die Grundlage informatikbasiert mit den Themen Programmierung, Algorithmen und Datenstrukturen, Methodik, Mathematik, angereichert mit vielen Vorlesungen zu KI. Die Studenten sind dann nach 3,5 Jahren gut ausgebildet. Der Studiengang ist sehr praxisnah gestaltet, mit Praxissemestern und der Abschlussarbeit in der Industrie. Nach dem Abschluss kann man noch einen Master hinzufügen oder direkt erfolgreich ins Berufsleben einsteigen. Masterstudiengänge gibt es beispielsweise zum Thema KI und Mechatronik.

S. Philipp: Haben Sie einen Lieblings-Use Case für KI? Wo waren Sie am meisten positiv beeindruckt von einer Anwendung, die mithilfe von KI funktioniert?
P. Glauner:
Durch meine Beratungstätigkeit sehe ich immer sehr viele spannende Dinge. Leider kann ich über diese oft nicht öffentlich reden. Beim Thema Maschinenbau und KI allerdings durfte ich etwas veröffentlichen. Bei KI im Maschinenbau denkt man an oft nur an Predictive Maintenance4, doch es gibt auch viele Entwicklungen in den Bereichen Sondermaschinenbau oder automatisierter Planung. Auf meiner Website finden Sie auch eine Publikation zu diesem Thema [Digitalization in Mechanical Engineering].

S. Philipp: Wo nutzen Sie selbst privat KI? Haben Sie Ihr Smart Home trainiert oder lassen Sie sich von Alexa assistieren?
P. Glauner:
(lacht) In meinem Haus aus den späten 70er-Jahren gibt es sicher noch Potentiale im Bereich Smart Home. Ich nutze gerne Anwendungen mit Spracherkennungen. Und natürlich ChatGPT zur Verbesserung und Optimierung meiner Texte. Das sehe ich gar nicht als verwerflich an, sondern vielmehr als Chance, produktiver zu sein.

S. Philipp: Herzlichen Dank für das Gespräch!

 


 

Prof. Dr. Patrick Glauner ist Professor für Künstliche Intelligenz an der TH Deggendorf. Als Sachverständiger hat er die Parlamente von Deutschland, Frankreich und Luxemburg beraten. Er wird vom CDO Magazine in der Liste der weltweit führenden Professoren im Datenbereich geführt.


Begriffserklärungen:
1) Bias: Befangenheit, Vorurteil, Voreingenommenheit
2) GPU: Graphic processor unit (Grafikprozessor); Verarbeitungseinheit mit verbesserter mathematischer Berechnungsfähigkeit, zum Einsatz für Computergrafik und maschineller Lernaufgaben
3) Deepmind: Neue KI-generierte Algorithmen sorgen für eine geringere Rechenkapazität und damit einhergehend auch einen weniger Energieverbrauch (Quelle: Google Deepmind, www.deepmind.com/blog/alphadev-discovers-faster-sorting-algorithms)

4) Predictive Maintanance: Vorausschauende Wartung (Prognosen aufgrund von historischen und in Echtzeit verfügbaren instandhaltungsrelevanten Daten).

 

Quelle Titelbild und Bildergalerie: KI-generierte Grafiken zum Thema künstliche Intelligenz (DALL·E)
Quelle Foto Prof. Dr. Patrick Glauner: privat

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