D. Badoux:Covid-19-Pandemie hat für einen Digitalisierungsschub und einen Anstieg des Datenverkehrs gesorgt. Können Sie diese Effekte spezifizieren?
T. King: Wir verzeichnen normalerweise einen jährlichen Traffic-Anstieg, das heißt wie viele Daten wir für unsere Kunden transportieren, von 20 bis 30 Prozent. Im März 2020, als wir alle in den ersten Lockdown gingen, haben wir dieses Wachstum innerhalb von einer Woche erlebt. Da waren auf einmal alle im Homeoffice, in Videokonferenzen oder im digitalen Homeschooling und viele haben in der Freizeit über Netflix, YouTube und Co. Videos gestreamt oder Online-Games gespielt. Weil wir alle unseren gewöhnlichen Tätigkeiten nicht mehr nachgehen konnten, hat sich alles ins Digitale verlagert. Wir sehen einen nachhaltigen Anstieg der Anfrage nach digitalen Lösungen und damit auch der Interconnection.
D. Badoux: Wohin wird der Trend gehen? Lässt der Digitalisierungsschub wieder nach oder bleibt es bei dem wachsenden Bedarf?
T. King: Wir sehen nicht, dass es nachlässt – ganz im Gegenteil. Natürlich hat Corona da für einen Schub gesorgt, doch viele Entwicklungen werden vermutlich bleiben. Die Großeltern wissen jetzt, wie man Videocalls macht und nun ist es die neue Normalität, die Familie über Video anzurufen, anstatt zum Telefonhörer zu greifen. Die Gesellschaft ist den digitalen Diensten gegenüber noch offener und experimentierfreudiger geworden. Somit ist auch der Bedarf an Traffic-Volumina und gleichzeitig niedrigen Latenzen immens gestiegen.
D. Badoux: Können Sie kurz erläutern, was Latenz bedeutet und warum eine niedrige Latenz so wichtig für digitale Anwendungen ist?
T. King: Dazu habe ich ein klassisches Beispiel: Jeder, der schon mal Netflix, YouTube oder irgendeinen anderen Video-Streaming-Anbieter genutzt hat, kennt das Warte-Rädchen, das sich manchmal dreht, bis das Video abspielt. Das ist die ganz praktisch erlebte Latenz. Und die gibt es bei jeder Anwendung. Sie beschreibt die Zeit, die Daten brauchen, um von dort wo sie erzeugt oder verarbeitet werden dahin zu gelangen wo sie konsumiert oder ausgeführt werden. Wenn Sie zum Beispiel in einer Anwendung oder auf einer Webseite auf einen Button drücken, um eine bestimmte Aktion auszuführen, beschreibt die Latenz die Zeit, die es braucht, bis man das Ergebnis erhält. Vor 30 Jahren, als das Internet aufgebaut wurde, war es nicht so entscheidend, wie lange die Daten durchs Netz geflossen sind. Da war man froh, dass es überhaupt möglich ist, eine Webseite aus den USA aufzurufen. Doch unsere Anforderungen sind bis heute deutlich gewachsen und insbesondere bei interaktiven Anwendungen wird eine niedrige Latenz immer wichtiger. Diese lässt sich dadurch reduzieren, indem man die Daten und Nutzer näher zusammenbringt. Einerseits physikalisch, also dass man die Data Center näher an die Nutzer heranbringt. Anderseits müssen auch die Netz-Verbindungen kurze Wege haben – also die Kabel, über die die Daten gesendet werden. Und deshalb macht es Sinn, an bestimmten Standorten weitere Internetknoten zu errichten.
D. Badoux:Ab Ende 2022 gibt es einen solchen neuen DE-CIX Knotenpunkt in Leipzig. Warum ist dieser Standort notwendig und sind weitere in Planung?
T. King: Ja, weitere Standorte sind geplant. Im letzten Jahr wurden weltweit vier neue Standorte in Betrieb genommen und sieben angekündigt. Entweder zusammen mit Partnern, wie im Falle Leipzig unter anderem mit dem Telekommunikationsanbieter envia TEL, oder in Eigenregie. Im Jahr 2022 werden weitere Standorte eröffnet – voraussichtlich sogar mehr als zehn. Notwendig ist das, weil die Kunden weiterhin steigenden Bedarf haben und die Digitalisierung voranschreitet. Als ein Beispiel ist Edge Computing zu nennen, d.h. dass die Anwendungen wie Video-Cloud-Streaming, Virtual Reality oder Autonomes Fahren, immer näher an den Kunden heranrücken müssen. Darum findet eben nicht mehr alles in Frankfurt statt, sondern wird dezentralisiert – wie im Falle Leipzig – um die Latenzen entsprechend niedrig zu halten. Dementsprechend gibt es einen erhöhten Bedarf in der Verteilung der Data Center und damit auch der Interconnection.
D. Badoux: Das heißt, der Trend geht zum dezentralen Wachstum und damit über Ballungsgebiete wie Hamburg und Frankfurt hinaus?
T. King: Ja, es wird viel dezentraler werden. Wie wir am Beispiel Leipzig oder auch einem neuen Standort im Ruhrgebiet sehen. Diesen haben wir im März 2021 während Corona komplett remote aufgebaut. Das war für uns auch neu, dass dies möglich ist, ohne dass unsere Techniker vor Ort sind. Wir haben das mit Videocalls, umfangreichen Dokumentationen und Remote Hands1 gelöst. Es war spannend zu sehen, dass man sich so schnell umstellen und dabei auch noch effizient sein kann. Zusätzlich ist es besser für das Klima, da nicht mehr so viel Personal auf die Reise muss, sondern nur noch die Technik verschickt wird. Das fällt bei einem neuen Standort im Ruhrgebiet vielleicht nicht so sehr ins Gewicht, bei einem internationalen Deployment, wie wir es im Jahr 2021 zum Beispiel in Südostasien hatten und aktuell in Nordeuropa durchführen, schon mehr.
D. Badoux: Hat diese Entwicklung auch nachhaltige Effekte auf die Prozesse in Ihrem Unternehmen?
T. King: Unbedingt! Zu den Aufbauten aller Standorte, die wir jetzt durchgeführt haben, fliegt niemand mehr hin. Früher wurde ein eigenes Team dorthin geschickt und wir haben alles selbst aufgebaut. Mittlerweile machen wir das fast aus- schließlich mit Remote Hands bzw. Smart Hands2 vor Ort. Es gibt ein paar ganz wenige Ausnahmen, zum Beispiel wenn wir bestehende Austauschknotenpunkte übernehmen und eine Migration durch- führen müssen. Da ist es etwas komplizierter und wir müssen dann vor Ort sein – jedoch bei weitem nicht mehr in der Personenstärke wie früher. Da nutzen wir dann auch vermehrt lokale Ressourcen.
D. Badoux: Gibt es auch Bestrebungen dieses Wachstum ökologisch nachhaltig zu gestalten? Gibt es konkrete Vorgaben seitens des DE-CIX?
T. King: Wir haben das Thema Nachhaltigkeit auf unserer Agenda. Erfreulich ist, dass die Data Center Betreiber dahingehend schon viel tun. Viele verwenden bereits grünen Strom. Das ist aus meiner Sicht auch der wesentliche Teil, den wir hier beitragen können, denn der Stromverbrauch in Data Centers ist erheblich. Wir setzen darauf, dass – wo immer möglich – der Strom grün ist. Man muss aber ehrlicherweise sagen, dass das jedoch nicht alle Rechenzentren in allen Regionen, in denen wir aktiv sind, anbieten. Und doch stellen wir einen Wandel in der Branche fest und das unterstützen wir, indem wir aktiv grünen Strom nachfragen.
D. Badoux: Das ist dann eine Investition des Rechenzentrumbetreibers. Sehen Sie da auch weitere Entwicklungen, wo der Endkunde investieren muss, wie z.B. in einen effizienteren Stromverbrauch?
T. King: Ja, korrekt. Wir investieren hier auch aktiv. Zum Beispiel tauschen wir alte Hardware aus, die zwar noch laufen würde, aber sehr viel mehr Strom verbraucht. Denn die neue Hardware ist sehr viel effizienter. Wir sprechen hier von einer Einsparung beim Strombedarf von bis zu 70 oder gar 80 Prozent. Zwar erzeugt die Herstellung der Hardware eben- falls Emissionen, aber umgerechnet auf die Laufzeit lohnt sich der Austausch und wir können mit diesen Investitionen aktiv einen Beitrag zur Umwelt leisten.
D. Badoux: Ihre Einschätzung als CTO: Wie sehen Sie neue Technologien wie IoT, 5G, etc.? Was steckt dahinter und wohin führen diese Entwicklungen?
T. King: IoT finde ich sehr spannend. Wenn man sich anschaut, wo heute überall schon Sensoren drinstecken und was sich alles auswerten und steuern lässt – ob im privaten oder industriellen Umfeld – dann ist ganz essenziell, dass die digitale Infrastruktur dahinter entsprechend ausgebaut ist. Und dieser Trend wird die Relevanz der digitalen Infrastruktur noch stärken. Da stehen wir aber noch am Beginn und das wird noch eine riesige Entwicklung werden. 5G ist sehr wichtig im Bereich Edge Anwendungen und überall dort, wo niedrige Latenzen notwendig sind. Da kommen wir in neue Bereiche, was möglich ist und das wird neue Anwendungsfelder – auch im Zusammenspiel mit IoT-Devices – eröffnen.
D. Badoux: Herr King, zum Schluss eine Frage zu Ihrem Werdegang: Wie sind Sie zur Branche und zum DE-CIX gekommen?
T. King: Als Ende der 90er das kommerzielle Internet aufkam, hatte ich bereits ein eigenes Modem und habe mein Taschengeld dafür investiert, mich ins Internet einzuwählen. Damals wurde ja noch nach Minute abgerechnet und ich musste bei meinen Eltern die erhöhten Telefonrechnungen begleichen. Doch ich war total fasziniert, dass man plötzlich die Möglichkeit hatte, mit Chat-Anwendungen wie ICQ usw. weltweit mit unterschiedlichen Menschen so einfach in Kontakt zu sein. Das hat mich nicht mehr losgelassen, weshalb ich dann in dem Bereich studiert und promoviert habe und mich anschließend beim DE-CIX beworben habe. Nach einigen weiteren Zwischenstationen darf ich nun hier als Chief Technology Officer tätig sein.
D. Badoux: Und darüber haben wir uns dann auch kennengelernt. Vor einigen Jahren haben wir gemeinsam über einen Standort für den Knotenpunkt in Frankfurt verhandelt und sind immer im Kontakt geblieben. Die Arbeit des DE-CIX ist sehr wichtig für uns und unsere Kunden. Wir arbeiten an vielen Projekten – wie beispielsweise im Falle envia TEL – für die lokalen und regionalen Rechenzentren. Diese sind besonders wichtig für Bildungseinrichtungen, Kliniken und weitere kritische Infrastrukturen und da ist der DE-CIX ein wichtiger Partner.
T. King: Genau das ist die Entwicklung: In Richtung dezentral. Darum sind die Projekte von euch auch relevant und spannend für uns.
D. Badoux: Wir bedanken uns recht herzlich bei Dr. Thomas King für das Gespräch und die Einschätzung.
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